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Haus der Seele
27th Jan 2013Veröffentlicht in: Videos 0
Haus der Seele
Text und Bilder von Claudia Vogel

Sie schaute schon sehr lange und sah trotzdem nichts Neues. Ganz nahe drückte sie ihr Becken an den Rand des Waschbeckens um ihr Gesicht noch näher an den Spiegel zu bringen. Das alte Badezimmer war eng und klein, und der Spiegel zeigte Spuren der gelebten Geschichte wie ihre Haut. Wenn sie nahe genug war, sah sie ihr ovales Gesicht leicht verzerrt. Aufmerksam konzentrierte sich das Auge auf das gegenüberliegende, das ihr entgegenstarrte.  Es war grün-grau mit ein paar gelben Punkten drin, obwohl immer alle meinten sie hätte blaue Augen. Das stand sogar so in ihrem Pass. Sie fand blaue Augen langweilig und  war stolz auf ihre speziellen Augen, die etwas katzenartiges hatten, wie sie selber fand. Ihr Auge schaute fragend mit grosser, dunkler Pupille. Wenn sie die Lider etwas heller schminkte, wie heute, leuchteten ihre  Augen, strahlten. Mehr noch als sonst.

Um ihr linkes Auge begannen sich Lachfalten zu bilden, wenn sie ganz genau schaute, hatten sich schon einige Rillen tief in die Haut gegraben. Sie zog mit den Fingern die Haut etwas nach hinten, spannte die Haut die ganz glatt wurde und liess sie wieder los. Die Falten kehrten sofort zurück. Wann sich  wohl diese Spuren  eingruben. Bei welchem Anlass sie zuletzt so gelacht hatte dass sich über Stunden die Fältchen hätten eingraben können, wusste sie nicht mehr. Es war bestimmt schon lange her. Warum tat eigentlich die Haut nicht weh wenn sie sich so veränderte?

Sie blieb ganz ruhig stehen. Ihr Auge schaute. Dieser Blick kam von irgendwoher und ging irgendwohin. Manchmal war sie sich selber so fremd, dass es ihr schon fast körperlich weh tat. Der Schmerz den sie dann spürte war jedes Mal derselbe: Dunkel, verborgen und umhüllt wie ein Seiden-Kokon inmitten ihrer Brust. Dasselbe Gefühl wie wenn der Atem stockte, weil sie kurz vor dem Weinen war. Sie würde alle dafür geben, sich selber auf die Spur zu kommen. Sie  kannte dieses Auge schon so lange sie sich erinnern konnte auf der Welt zu sein, in  Momenten wie diesem jedoch blieb es genauso unergründlich wie fremde Gesichter in der Stadt. Was wohl alles noch in ihrer Seele steckte? Wer war da vergraben?

Er war beleidigend gewesen, frech, unhöflich. Sie hatte den Kopf weggedreht, wie wenn sie so den Schallwellen seiner Worte ausweichen könnte, und hatte nichts gesagt. Man lebt zusammen und stirbt doch allein. Diese zerreissende Sehnsucht nach sich selber. Ihr helles Gesicht zeigte noch immer keine Regung. Vielleicht waren ihre Augen etwas dunkler als sonst, aber ihr Gesicht sah aus wie gestern, wie vorgestern, wie letzte Woche und genau wie heute morgen. Augenringe hatte sie zwar, dunkle, schon fast schwarz – violette, aber die hatte sie immer. Wer war nur diese Frau die ihr da entgegenstarrte? Zugern würde sie sich selber mal schälen. Schicht für Schicht abtragen, die Haare, die Haut, die Muskeln, das Fett, die Knochen, alles weg, bis auf die nackte Seele. Gerne würde sie sich selber gegenübertreten, die Hand ausstrecken, sich selber kennen lernen. Ob sie sich umarmen wollte? Sie selber mit sich selbst. Pur. Kein Schutz, keine  Beschönigung, keine Benimmregeln, keine Normen. Was wäre wenn sie sich selber gar nicht mögen würde? Wahrscheinlich war die Seele bloss eine Lichtillusion, oder vielleicht eine Farbfläche, schimmernd, unklar, unfassbar wie ein Regenbogen.

Würde sich ihr Potential offenbaren wenn alle Äusserlichkeiten weg wären? Sah dieses Auge ihre Seele von der Innenseite besser als sie selber von aussen ? Ob ihre Seele auch Rillen kriegte? Dann hoffentlich wenigstens eine Lachfalte, dachte sie.

Sie machte das Licht aus, schloss leise die Tür und ging zurück zum Tisch an dem der Besuch auf sie wartete.

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